Ortschaftsportal Neustadt

Ortsgeschichte

NEUSTADT – Eine Waiblinger Ortschaft und ihre Geschichte

Wer sich von der Rems herauf Neustadt nähert, dem fällt zuerst die felsige Spornlage des alten Neustadt auf. Zum Ende des 13. Jhdts stand dort eine Reichsburg. Unmittelbar dahinter aber ließ Graf Eberhard I. von Württemberg eigenmächtig ein ummauertes Städtchen erbauen, das ihm Herzog Albrecht von Österreich mit der 1. urkundlichen Erwähnung Neustadts vom 7. Mai 1298 erst verspricht und dann, inzwischen zum König gewählt, am 19. November desselben Jahres als das staetel Neuwe Waibelingen zu Eigen überlässt. Zur selben Zeit entstand im Stil der Spätromanik eine Liebfrauenkirche, deren Turmstock mit dem ausgemalten Chor erhalten ist. Die Burg auf dem Felssporn dagegen - ansehnliche Mauerreste sind noch vorhanden - verfiel bald und das kleine Nuwenstatt, also Neustadt, entwickelte sich zu einer selbständigen Gemeinde und die Pfarrei zu einer Filial von Waiblingen.

Spornlage Neustadt

Im Jahr 1535 ließ Herzog Ulrich von Württemberg die Reformation einführen. Neustadt erhielt in der Folge einen evangelischen Pfarrer, die Bürger traten zum lutherischen Glauben über. Im Jahr 1558 wurde eine Winterschule eingeführt, die wenigstens den Jungen eine bescheidene Schulbildung zukommen ließ.

Mit dem 30-jährigen Krieg und dem Durchzug der Heere und deren Plünderungen beginnt in Neustadt eine Zeit der Entvölkerung und Verarmung. Mindestens 200 Morgen (~ 63 ha) Rebland besaß Neustadt vor dem Krieg, danach war gerade noch ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche (Wiesen, Weingärten, Äcker) zu bewirtschaften. Häuser, Mühle und Keltern waren zerstört. Weniger als 70 Bürger mussten versuchen zu überleben.

Einen ersten wirtschaftlichen Aufschwung erlebt Neustadt ab Mitte des 18. Jhdts.. Die Weinberge werden nach und nach wieder errichtet, nicht nur von Neustädtern, sondern auch von so genannten „Ausmärkern“, also nicht in Neustadt Sesshaften, wie die mit Namen versehenen Weinbergsteine im Gewann Haufler an der Rems beweisen. Zur selben Zeit werden auf Empfehlung des Fürstl. Hohenlohe-Waldenburgischen Pfarrers Johann Friderich Mayer Gipseinlagerungen im Keuper des Söhrenbergs abgebaut und in zahlreichen bäuerlichen Gipsmühlen zu Düngegips vermahlen und vertrieben. Die Gemeinde kann es sich leisten, den Erbachhof zu kaufen. Die Einwohnerzahl ist zum Ende des 18. Jhdts. bei rund 700 Bürgern.

Im 19. Jhdt. erfährt auch Neustadt die Umbrüche der nach-napoleonischen Zeit in den deutschen Herzogtümern und Königreichen. Das Württ. Königshaus fördert den Weinbau und ist selbst Besitzer von Weinbergen in Neustadt. Dagegen veranlassen Missernten und die Verteuerung der Lebensmittel manche Familien, in den Osten Europas und nach Übersee auszuwandern. Im Jahre 1840 wird - typisch für diese Zeit des nationalen Aufbruchs - als erster Verein in Neustadt ein Gesangverein gegründet.

Eine einzigartige Episode Neustadts ist die des Bad Neustädtle. Im Jahr 1682 wurde im Talgrund der Rems eine Quelle entdeckt, deren Wasser schwefelige Bestandteile enthält. Sie wird in einem Brunnen gefasst, aber erst im Jahre 1816 als Heilwasser im Badbetrieb genutzt. Diesen unterhält ein umtriebiger Badwirt für wohlhabende, Heilung suchende Gäste. Der Waiblinger Oberamtsrichter und Natur-Lyriker Karl Mayer versammelt in demselben Bad Neustädtle und seinem idyllischen Park die schwäbischen Dichter Uhland, Kerner, Gustav Schwab und Mörike, aber auch Nikolaus Lenau, den Philosophen David Friedrich Strauß und Graf Alexander von Württemberg zum sog. „Schwäbischen Dichterkreis“.
Selbst Ahnen des Friedrich Schiller lebten in Neustadts Mauern, ehe deren Nachfahren über Waiblingen nach Bittenfeld übersiedelten.

Die beginnende Industrialisierung ab Mitte des 19. Jhdts, erfasst auch das Örtchen Neustadt.  Weit ab vom Ortszentrum wird Neustadt im Jahre 1876 Station an der Bahnstrecke Waiblingen-Schwäbisch Hall, die auf einem Viadukt das Remstal überbrückt. Eine Pappenfabrik siedelt sich im Jahr 1891 im seitherigen Mühlengebäude an. Längst ist der Ort über seine Mauern hinaus gewachsen. Die Einwohnerzahl ist bei über 1000.

Mit dem 20. Jahrhundert beginnt in Neustadt eine neue Zeit. Der Ort erhält 1911 eine Strom- und Wasserversorgung. Eine Darlehenskasse fördert seit 1898 die örtliche Wirtschaft, eine Siedlungsgenossenschaft den Wohnungsbau (1922). Im Jahr 1898 gründet sich der Christliche Verein Junger Männer (CVJM), 1906 ein Turnverein, 1908 ein Kleintierzuchtverein, 1914 ein Obstbauverein, Vereine, die noch heute in der Nachfolge ihrer Gründer in der Ortschaft aktiv sind. Bereits 1887 hatte sich die örtliche Feuerwehr nach den Vorgaben der Landesfeuerlöschordnung gegründet.

Mit der aufkommenden Industrialisierung in den großen Städten entstand akuter Bedarf an Wohnraum in der Region. Abhilfe schufen damals große Unternehmen für ihre Belegschaft in eigenen Siedlungen, aber auch Bürger und Auswärtige in privater Initiative. So erstand im Jahre 1936 die Hirschlauf-Siedlung, ein Ensemble von 24 Häuschen und Gärten zwischen Ortskern Neustadt und Bahnhof.

Nach den Fliegerangriffen auf ihr Werk in Stuttgart-Bad Cannstatt im Jahr 1943 verlegte die Fa. STIHL ihre Motorsägen-Produktion auf das Gelände der früheren Pappenfabrik an der Rems. Hier und mit den Erweiterungen weltweit entwickelte sich das Unternehmen STIHL durch eine umsichtige Unternehmenspolitik zum Weltmarktführer und größten Arbeitgeber am Ort.

Die Nachkriegszeit brachte seit 1946 einen Zustrom von Heimatvertriebenen aus dem Osten. Eine „Bahnhof-Siedlung“ entlang den Gleisen und in Nachbarschaft mit der umweltfeindlichen Mülldeponie der Stadt Stuttgart gab den Siedlern erst in Baracken, später in Reihenhäusern Unterkunft und in Neustadt eine neue Heimat. Die meisten der Vertriebenen waren Katholiken. Für sie und zugezogene Katholiken in Neustadt und Hohenacker wurde im Jahre 1963 die Kirche St. Maria gebaut und geweiht, deren markante architektonische Gestaltung, sowohl außen als auch innen sehr sehenswert ist.

Die alte Ortskirche, die heutige evang. Martinskirche ist mit den einmaligen Fresken ihres Innenraums das Kleinod Neustadts. Erst im Jahre 1955 wurden die Wandmalereien unter dem Putz entdeckt, später freigelegt und restauriert. Sie zeigen im frühgotischen Chor Szenen aus dem Marienleben nach biblischen und apokryphen Quellen. Die Zeit der Ausmalung dürfte in der ersten Hälfte des 14. Jhdts. liegen. Ein Förderverein kümmert sich um die Erhaltung der Fresken.

Die 60er-Jahre sind mit umfangreichen kommunalen Bauvorhaben verbunden. Die Einwohnerzahl ist jetzt bei 3200 und die Gemeinde ständig am Wachsen. In kurzer Folge entstehen Neubauten zur Kläranlage, die Friedenschule, der neue Friedhof, Kindergärten, eine neue Straßenführung über die jetzt zweigleisige Bahnlinie, die Gemeindehalle, ein Sportstadion, das Rathaus und etwas später ein Hallenbad. Zum Ende dieses Jahrzehnts hat Neustadt mehr als 5000 Einwohner.
Der dringendste Baubedarf neben dem Wohnungsbau bestand für die Schule, denn in kürzester Zeit waren nach mehreren Interimslösungen Erweiterungen nötig, die Platz für etwa 1000 Schülerinnen und Schüler boten und so zum heutigen Ausbau als Schulzentrum führten.

Mit dem Abriss und den Neubauten im Ort ist leider da und dort auch historischer Baubestand verloren gegangen, der dem Ortsbild heute fehlt.

Die im Zuge der Württ. Gemeindereform 1975 der Stadt Waiblingen zugeschlagene Ortschaft Neustadt mit heute etwa 5700 Einwohnern ist geprägt durch industrielle und gewerbliche Ansiedlungen, Erschließung attraktiver Wohngebiete, Weinbau, Sportanlagen, Schule und Kitas / Kindergärten, Lebensmittelmarkt, alles gut vernetzt durch einen dichten öffentlichen Personennahverkehr. Medizinische Betreuungsangebote, Handwerk und Dienstleistungen verschiedener Art, auch im städtisch kommunalen Bereich kommen ergänzend hinzu.

Ein vielseitiges Vereinsleben mit traditionellen Festen und kulturellen Veranstaltungen bringt die Bürger aller Altersschichten zusammen. Die Ortschaftsverwaltung und Vereine pflegen Kontakte zur Städtegemeinschaft Neustadt in Europa.

Die unmittelbare Nachbarschaft des Orts zum Söhrenberg (369m) mit einer historischen Gipsmühle, Kleindenkmalen am Wege und der vom Remstäler Künstler Fritz Nuss geschaffenen Neustädter Symbolfigur Zwetschgenklopfer vor dem Rathaus, aber auch der idyllische Weg an der Rems unter der Steillage des Weinbergs Haufler sind zu allen Jahreszeiten ein außergewöhnliches Erlebnis für Spaziergänger, Wanderer und Freizeitsportler. Die Freigabe der rekultivierten Mülldeponie wird dieses Angebot nochmals erweitern.

Verfasser: Herbert Kopp, Neustädter Erinnerungen e.V. / 29.1.2014

Weitere Informationen

Näheres zur Ortsgeschichte der Ortschaft Neustadt erfahren Sie aus der Neustadter Chronik sowie aus den Heften 1-4 des Vereins Neustadter Erinnerungen e.V.. Die Werke können Sie bei der Ortschaftsverwaltung Neustadt erwerben.

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